Jobwechsel: Wer lässt sich schon gerne durch Corona ausbremsen?
23.04.2020 | Ein Gespräch mit Lars Brennecke, Head of IT, Atelier Goldner Schnitt GmbH (AGS): Wie man in der Corona-Krise Lösungen findet, seinen Job zu wechseln. Wie man mit Fachleuten zu einem erfolgversprechenden Ergebnis kommt und wie Lars es schafft, trotz Distanz und neuem Team einen Teamspirit aufzubauen.

MENOVIA: Du warst in einem festen Arbeitsverhältnis und hast Dich in der Corona-Zeit beruflich neu orientiert. Was hat Dich dazu bewogen, deinen Job zu wechseln?
Lars Brennecke: Auf den ersten Blick ist der Wunsch, meinen Job in der Corona-Krise zu wechseln, vielleicht nicht ganz nachvollziehbar. Der Job hat sehr gut zu mir gepasst, Team Lead Technology und stellvertretender Businessunit Leiter Managed Services bei Hitachi Solutions Europe (Germany). Ich konnte frei agieren und Projekte im Bereich Testmanagement vorantreiben.
Doch dann schlug im März 2020 Corona ein und alle geplanten Softwareprojekte, an denen wir gearbeitet haben und für die ich verantwortlich war, wurden bis Ende 2020 vorerst gestoppt.
Wir wurden in Kurzarbeit geschickt, d.h. ich habe nur noch 80% gearbeitet. Mir war dann schnell klar, dass die Situation sich vorerst nicht ändern wird. Es sollten Monate werden, in denen ich nicht aktiv an meinen Projekten weiterarbeiten kann. Dafür habe ich konzeptionelle Tätigkeiten & Kundenpräsentationen übernommen. So zu arbeiten war aber nicht mein Ziel.
Im Prozess des Nachdenkens wurde klar, ich bin nicht der Mensch, der gerne wenig arbeitet. Wer lässt sich schon gerne durch Corona ausbremsen? Viel wichtiger als die komfortable Angestelltensituation sind mir Herausforderungen mit Zukunftsperspektiven, bei denen ich etwas bewirken kann.
Dann war Corona der Auslöser für die Umorientierung?
Ja, Corona war der Auslöser dafür, dass ich einen neuen Job wollte. Ich bin auf die Stelle aufmerksam geworden. Aufgaben und Voraussetzungen haben genau zu mir gepasst. Der Head of IT soll das Unternehmen ERP-seitig weiter entwickeln – genau das ist mein Steckenpferd. Das mache ich seit über 20 Jahren. Ich habe mich gleich beworben.
Marlene Kammer, Senior Consultant bei MENOVIA, hat mit mir Online-Interviews geführt. Sie kennt das Unternehmen und hat schnell gesehen, dass es fachlich und auch persönlich passt. Obwohl die Bewerbungsphasen im Unternehmen schon ziemlich weit vorangeschritten waren, hat sie mich vorgestellt. Dann ging alles sehr, sehr schnell.
Die Vorstellungsgespräche wurden unter erschwerten Corona Bedingungen geführt. Wie hast Du das empfunden?
Ja, die Vorstellungsgespräche wurden größtenteils online organisiert. Sowohl das fachliche Gespräch, als auch das erste Vorstellungsgespräch mit dem Geschäftsführer fanden per Teams statt.
Prinzipiell ist der Ablauf vergleichbar mit Vorstellungsrunden vor Ort. Nach der persönlichen Vorstellung konnte ich meine Visionen für das Unternehmen darlegen, wie ich mir vorstelle, wohin sich das Unternehmen ERP-seitig entwickeln kann. Das war genau mein Element. Das Gespräch lief sehr gut. Kurze Zeit später habe ich eine Einladung für ein zusätzliches persönliches Gespräch vor Ort mit dem Soft Skill Trainer bekommen. Hier ging es eher um die persönliche Passung. Auch das letzte Gespräch mit der Geschäftsführung über Teams war erfolgreich – am selben Tag habe ich noch die Zusage bekommen, dass mir der Arbeitsvertrag zugeschickt wird.
Mein Vorteil ist, dass ich gewohnt bin, remote tätig zu sein. Ich arbeite seit Jahren mit globalen Teams zusammen, die international verteilt sind. Von den USA bis Indien. Selbst die deutschen Teammitglieder sind in ganz Deutschland verteilt. Mit Skype for Business oder mit Teams zu arbeiten, ist für mich normal. So konnte ich eine gewisse Gelassenheit für die Online-Bewerbungsphasen mitbringen.
Was ist das Besondere an online organisierten Vorstellungsgesprächen?
In der Vorbereitung auf das Gespräch habe ich keinen Unterschied gesehen. Wenn man schon lange remote arbeitet, weiß man worauf zu achten ist. Allerdings waren die Gespräche bei uns weniger formal, als im Vor-Ort-Gespräch. Das heißt „nicht mehr Hemd und Anzug, sondern Polo-Shirt war auch OK“.
Tatsächlich hat Corona bewirkt, dass alles viel flexibler geworden ist. Alles verlief sehr viel schneller und einfacher als in normalen Bewerbungsphasen.
Wie ist es Dir gelungen, nach kurzer Zeit bei AGS Dein Team neu aufzubauen – und das noch unter den erschwerten Lockdown Bedingungen?
Seit meiner Einstellung im Juni 2020 habe ich drei neue Entwickler*innen eingestellt. Ich kann sagen, dass es generell ziemlich schwierig ist, im ERP-Bereich gute Mitarbeiter zu finden.
Was positiv ist: die technischen Möglichkeiten, Online-Bewerbungsgespräche zu führen, hat tatsächlich die Bewerbungsphasen nach der Sondierung flexibler und schneller gemacht. Es ist viel leichter Termine zu vereinbaren, das gilt sowohl für die Bewerber aus dem Home Office heraus als auch für mich. Für die Bewerbungsgespräche konnte ich meine internen Termine leichter verschieben, was Vor-Ort manchmal komplizierter ist. So konnte ich wesentlich schneller und flexibler agieren.
Ich habe meine Kollegen remote eingestellt und führe mein Team auch remote weiter. Das war für AGS neu. Zu 100% aus dem Home Office zu arbeiten, war noch nicht etabliert. Die Geschäftsleitung habe ich davon überzeugt, dass Home Office funktioniert. Mir wurde das Vertrauen geschenkt und sie sind mit mir den Weg gegangen. Und es funktioniert!
Hat sich durch diesen Lernprozess etwas verändert? Ergibt sich daraus ein vollkommen anderes Arbeitsverständnis?
Mir ist nicht wichtig, wie lange ein Mitarbeiter arbeitet, solange er seine Arbeit fertigstellt und diese qualitativ hochwertig ist. Wenn er es in 4 Stunden schafft, ist das doch toll. Vertrauen und enge Zusammenarbeit bringen viel mehr, als eine reine Zeiterfassung.
Ich glaube, dass im Allgemeinen von den Geschäftsführungen wenig Vertrauen in die Mitarbeiter vorhanden ist. Meiner Meinung nach gibt es deswegen auch Zeiterfassungen u.ä.. In Zeiten von Corona und Home-Office Lösungen ist es schwer, die Mitarbeiter so zu überwachen wie zuvor. Auch wenn es jetzt eine Remote-Zeiterfassung gibt.
Bei uns im Unternehmen hat es sich verändert. Ich hoffe, dass sich das Ganze auch nach Corona dahin entwickelt und alte gelebte Strukturen aufgebrochen werden. Allein um die Effizienz der Mitarbeiter zu steigern.
Du hast auf Distanz ein neues Team aufgebaut. Wie ist es möglich Teamspirit zu entwickeln, obwohl man sich nicht persönlich sieht?
Ein guter Anfang ist die halbe Miete: Das gilt auch ab dem ersten Arbeitstag eines neuen Mitarbeiters. Gerade in den aktuellen Corona-Zeiten ist es besonders wichtig, neue Mitarbeiter so gut es geht, abzuholen. Das geht auch online.
Das ist prinzipiell nicht schwierig, da braucht man intensives Kommunizieren und Diskussionen im Team. Auch im Home-Office arbeite ich den ganzen Tag eng mit meinem Team zusammen. Klar, es gibt Formalismen wie regelmäßige Meetings, aber ich halte das nicht so streng. Wenn jemand Hilfe braucht, kann er einfach schnell durchrufen. Ich versuche für mein Team immer greifbar zu sein und mit ihm zusammen an Lösungen zu arbeiten.
Was immens wichtig ist, immer die Kameras an zu haben. Mit Kamera kann ich die Mimik erkennen – wenn man sich schon physisch nicht sieht, kann ich über die Kamera in das Gesicht des Gesprächspartners schauen – das erzeugt Nähe.
Was würdest Du empfehlen, wenn jemand über einen Jobwechsel in der Pandemie nachdenkt?
Es kommt darauf an, in welchem Bereich und in welcher Branche man unterwegs ist. Der stationäre Handel ist stark von Corona betroffen, E-Commerce weniger. Hier ist das Risiko seinen Job zu wechseln nicht so groß. Im ERP & IT Bereich sollte es eigentlich keine Probleme geben.
Ich kenne persönlich zwei Fälle, die während Corona gewechselt haben und das Unternehmen diese Mitarbeiter noch vor Jobantritt wieder gekündigt hat – aufgrund von Corona. Bei mir hat es bestens geklappt. Ich bin happy.
Ich rate jedem, in Zeiten von Corona noch genauer hinzuschauen. Wie stark ist das Unternehmen von der Pandemie betroffen, in welchem Bereich ist das Unternehmen tätig und wie sind die Wachstumschancen. Vor allem sollte man persönliche Chancen und Risiken genauestens abwägen.